Wie immer war es ziemlich stressig in der Krankenstation. Aber das machte mir nichts aus. Ich liebte den Stress, denn das lies mich vergessen, dass meine Familie und alles was mir noch etwas bedeutete zerstört war und das ich nicht mehr der Mensch war, der ich früher mal war. Ich kam gerade aus einem Raum, als eine der anderen Helferinnen ein Klemmbrett auf einen Tisch lag, wo immer neue Patienten abgelegt werden. Der, der kann würde sich dann um diese Person kümmern. Ohne eine Pause schnappte ich das Brett und las alles genau durch. Name: Jemy Paak. Verletzung: Schnitt über die linke Handfläche. Raum: 4C
Ich begab mich zu dem jungen Mann und lächelte ihn schüchtern an. "Hallo.", sagte ich und legte das Klemmbrett auf eine Ablage. "Ich werde mich um dich kümmern."
Wieder lächelte ich unsicher. Er sah gut aus, aber er sah nicht aus, als wäre er neu hier in Distrikt 13. Ich sah mir die Verletzung an. "Ist das ... beim Training passiert?", fragte ich und analysierte es genau, wie ich es bei den Meerestiere immer getan hatte. "Es sieht nicht besonders schlimm aus, aber du solltest das Training erstmal lassen.", fügte ich hinzu und holte das Desinfektionsmittel. Vorsichtig strich ich über die Wunde. Behutsam als wäre es meine eigene, denn ich wollte ihm nicht weh tun. Ich war vollkommen in meinem Element und das merkte man auch.

Die schüchterne Seite, die ich nach meinem Sieg entwickelt habe, versuchte ich wieder vollkommen zu verdrängen. Seit dem Tod meines Vaters, hatte ich lange Zeit diese Seite zugelassen. Niemanden an mich heranzulassen. Aber bei Patienten ging das nicht anders. Als Helferin in der Krankenstation musste ich offen auf jemanden zugehen können. Bei Tieren war das um einiges einfacher. Sie redeten nicht und sie verurteilen einen nicht, doch Menschen waren was das anging aus einem völlig anderen Holf geschnitzt.
Ich strich die Wunde sauber und wickelte vorsichtig den Verband um den Schnitt. Natürlich war mir klar, dass der junge Mann nicht erfreut sein wird, wenn ich sagte, er müsse erstmal das Training ausfallen lassen. Ich schmunzelte. "Natürlich verstehe ich das, aber für ein paar Tage ist leider nichts zu machen. Ich würde dich auch gerne für zwei Tage hier behalten. Dich kann in der Zeit sicher jemand vertreten, danach kannst du wieder zum Training gehen. Ich will nur sicher gehen, dass die Heilung auch gut läuft und nichts passiert.", erklärte ich und hoffte, er würde es einsehen. Wenn man mich so sah, würde man sicher nicht von einem schüchternen Mädchen denken, aber eigentlich war ich das.
Ich hatte den Verband fertig und atmete tief durch. "Ich bin vielleicht etwas überfürsorglich.", murmelte ich vor mich hin. Ich hatte Leben auslöschen müssen, da ist es nicht leicht, jemanden mit einer Wunde zum Training gehen oder gar aus den Augen zu lassen. "Entschuldigung.", sagte ich dann und hielt meine Hände unter Wasser, damit das wenige Blut verschwand. "Natürlich darfst du gehen.", ich nickte und nahm das Klemmbrett um alles zu dokumentieren, um mich abzulenken, wie dumm ich war.

Er meinte, dass zwei Tage auf der Station behalten wohl zu viel wäre und ich seufzte. "Ja ... tut ... mir Leid. Ich bin noch ... manchmal verwirrt und fürsorglich.", sagte ich leise und nickte. "Ich habe wohl zu viel durchgemacht ...", flüsterte ich leise, mehr für mich, als für irgendwen sonst. Schließlich hatte ich noch nie mit irgendwen über meine Vergangenheit geredet, was ich auch immer so besser fand. Ich schrieb weiter auf dem Klemmbrett die Behandlung auf. "Okay, dann ...", ich wollte gerade etwas sagen, als ich hochsah und ihm ins Gesicht sah. Ich schluckte leicht, denn er sah wirklich gut aus und ich hatte noch nie viel mit dem anderen Geschlecht zu tun. Niemand wollte ein komisches Mädchen, das aus Glück Siegerin wurde. "Eine so bekümmerte Miene steht einem so lieben, hübschen Mädchen nicht.", wieder schluckte ich. Auch sowas, hatte noch nie einer zu mir gesagt. "Du-Du kennst mich doch gar nicht, dass du sagen kannst, dass ich lieb bin.", sagte ich verlegen und wurde ungewollt ein wenig ruhig. Ich zwang mich zu einem Lächeln und sah kurz zu Boden. "Aber du solltest vorsichtiger sein, denn sonst verletzt du dich auch noch in deinem schönen Gesicht.", versuchte ich selbstbewusst zu sein und ein wenig zu flirten, auch wenn ich nur wenig kannte. Symbolisch strich ich ihm leicht mit dem Sift über seine Wange.
Verwirrt widmete ich mich wieder dem Blatt. "Kannst du ... in ein paar Tagen nochmal kommen?", fragte ich. "Am liebsten zu mir, denn ich würde gerne deine Wunde nochmal ansehen."